Albtraum-Novellen – Leseprobe

Albtraum-Novellen – Produktbild

»Herr?« Sie räuspert sich. »Mein Name ist Linda. Ich bin gekommen.«

Eine unbekannte Stimme antwortet ihr von der Balustrade aus: »Dein Name ist nicht von Belang.«

Linda schluckt. Unsicher blickt sie zu dem Geländer auf der anderen Seite des Saals hinauf. Auch wenn ein großer Kronleuchter die Eingangshalle beleuchtet, verbleibt die Gestalt oben auf dem Gang im Halbschatten.

Noch einmal räuspert sie sich und beginnt: »Ich bin wegen der Abmachung hier. Es hieß, ich solle mich bei Ihnen melden …«

Der fremde Mann schneidet ihr mit einer Geste das Wort ab. Die Stimme des Hausherrn klingt kühl, geschäftlich. »Bist du Jungfrau?«

Linda schüttelt den Kopf. »Nicht mehr, seit …«

»Und hast du deinen Körper schon einmal verkauft?«

Für einen Moment taucht ein lang vergessenes Bild in ihr auf, von einem kleinen Mädchen, das einem Klassenkameraden einen Kuss gibt und dafür etwas von seinen Süßigkeiten abbekommt.

Sie schüttelt die Erinnerung ab. »Nein, noch nie.«

Oben auf der Balustrade ist eine Bewegung zu erkennen und Linda überlegt, ob es ein zufriedenes Nicken ist. »Also ist dies dein erstes Mal«, klingt es herab, so leise, als wären die Worte nicht an sie gerichtet. Ihre Muskeln verkrampfen sich.

Für einen Augenblick stehen sich die beiden Gestalten regungslos gegenüber, Linda offen in der Mitte des Saals und der fremde Mann oben im Schatten verborgen. Dann ertönt die Stimme erneut, dieses Mal vollkommen ohne Emotion.

»Zieh dich aus.«

Linda erstarrt. Wenn die Aufforderung auch ihren Erwartungen entspricht, so fühlt sie sich doch noch nicht bereit, sich diesem Fremden ohne Weiteres zu ergeben. Störrisch schiebt sie die Unterlippe vor.

»Entschuldigen Sie, aber ich dachte … Ich würde gerne genauer wissen, was in diesem Monat von mir erwartet wird.«

Das Geräusch, das von oben zu ihr herunterdringt, klingt wie ein trockenes Lachen. »Sei dir bewusst, es wird nichts von dir erwartet werden, aber alles eingefordert. Während der nächsten dreißig Tage wirst du in allem, was du tust und bist, unter meiner Kontrolle stehen. Und du wirst meinen Befehlen gehorchen, wie immer sie auch lauten.«

Linda will etwas einwerfen, doch die kalte Stimme des Hausherrn erstickt ihre Einwände im Keim. »Du wirst an nichts, was in diesem Haus geschieht, dauerhaften Schaden davontragen – zumindest nicht im Verlauf der Zeit, für die du bezahlt wirst. Für die Spanne dieses einen Monats, beginnend mit dem heutigen Tag, bleibst du hier in diesem Haus, als mein persönliches Spielobjekt. Und du wirst keine Gelegenheit haben, deine Entscheidung zu ändern, sollte dir danach sein. Bist du mit diesen Bedingungen einverstanden?«

Linda zögert, mehr aus Ärger denn aus wirklicher Überraschung. Sie hat gewusst, worauf sie sich einlassen würde, als sie sich auf den Weg hinauf zu der Villa gemacht hat. Doch gleich, was sie von dem Unbekannten und seinen Reden halten mag, sie muss an daheim denken, an ihren Vater und die Rechnungen, die sich dort stapeln.

Mit einiger Überwindung senkt sie den Kopf. »Ich bin einverstanden.«

»Nun denn«, erklingt die Stimme von oben, »dann zieh dich aus.«

Linda trägt ein tiefausgeschnittenes schwarzes Kleid mit passender Spitzenunterwäsche, doch nun, in der altehrwürdigen Halle, scheint ihr die Kleidung seltsam unangemessen. Für einen Moment überlegt sie, ob sie eine Show abziehen sollte, einen Striptease, wie sie ihn in Filmen gesehen hat, aber dann entscheidet sie sich dagegen. Sie ist nicht geübt darin, sich auf solche Weise zu präsentieren. Stattdessen schiebt sie das Kleid mit einer einfachen Bewegung herab, löst den Verschluss ihres BHs und lässt das Kleidungsstück zu Boden fallen, dann zieht sie den schwarzen Slip herunter. Sie bemüht sich, den Blickkontakt zu der Gestalt auf der Empore die ganze Zeit über zu halten.

»Die Schuhe auch.«

Mit leichtem Bedauern streift Linda die Pumps mit den hohen Pfennigabsätzen ab. Sie fühlt sich sicherer, solange wenigstens ihre Füße bekleidet sind. Ohne eine zusätzliche Aufforderung nimmt sie auch Kette und Armband ab, alles bis auf die Spange, die ihre Haare zusammenhält – ein letzter Rest Ordnung in all dieser Fremdartigkeit. Sie legt ihre Habseligkeiten zu einem Haufen zusammen und schiebt ihn zwei Schritte zur Seite, dann richtet sie sich wieder auf, um zu der Gestalt auf der Balustrade hinaufzusehen. Vielleicht liegt es daran, dass ihre Augen sich an den Halbschatten dort oben gewöhnt haben, jedenfalls hat Linda das Gefühl, dass sie die verborgene Gestalt nun besser ausmachen kann. Sie erkennt graue Haare, ein dunkles Hemd, den abschätzigen Ausdruck heller Augen. Instinktiv wendet sie den Blick ab und schaut zu Boden.

»Jetzt knie dich hin.«

Ungelenk lässt Linda sich auf die Knie sinken. Der Fußboden des Saals ist mit Marmorstein gefliest, beißend kalt unter ihrer bloßen Haut. Sie braucht einen Augenblick, ehe sie die angenehmste Lage gefunden hat, auf den Unterschenkeln zusammengekauert, das Körpergewicht so gut es geht auf die Länge der Beine verteilt. Sie sieht wieder auf, doch nun, aus ihrer kauernden Position heraus, kann sie hinter dem Geländer der Balustrade nichts mehr erkennen. In einem seltsamen Pflichtbewusstsein senkt sie den Kopf, bis der grauweiße Stein ihr Gesichtsfeld ausfüllt.

»So wirst du bleiben, bis ich dir erlaube, dich zu regen. Du wirst dich nicht rühren, wirst mit niemandem reden und niemanden ansehen. Hast du das verstanden?«

Linda nickt stumm. Es ist eine so geringe Geste, dass man sie von oben wohl kaum erkennen kann, doch dem unbekannten Hausherrn scheint sie zu genügen. Sie kann ein Rascheln hören, Schritte, dann der leise Klang einer sich schließenden Tür.

Stille. Linda ist allein in dem großen Saal.

Irgendwo aus einem anderen Teil des Hauses schallen Töne herüber. Sie braucht ein paar Sekunden, um das Musikstück zu erkennen: Es ist das Aquarium aus dem Karneval der Tiere. Sie schluckt. Ihr ist, als wären die sanften Klavierklänge nur da, um sie einzulullen und ihren Geist in falscher Sicherheit zu wiegen.

Linda spürt, wie ein leichter Schauer ihren nackten Rücken entlangfährt. Es ist nicht die Kälte, trotz ihrer Höhe ist die Eingangshalle gut beheizt. Es kann auch nicht an ihrer unangenehmen Position liegen, dafür kauert sie noch zu kurz in dieser Haltung. Doch sie kann jetzt schon spüren, wie ihre Fußgelenke unter dem Druck ihres Körpers zu schmerzen anfangen. Vorsichtig testet sie aus, ob es ihr gelingt, ihr Gewicht etwas zur Seite zu verlagern – ganz langsam, Stück für Stück, auch wenn niemand mehr da ist, der ihre verbotene Bewegung sehen kann.

Unwillkürlich fährt Lindas Blick wieder hinauf, dorthin, wo die Gestalt vor wenigen Minuten im Schatten verschwunden ist. Wer sagt denn, dass der Fremde wirklich fortgegangen ist – dass er nicht immer noch dort steht und sie aus dem Dunkeln heraus beobachtet? Mit einem Mal wird sie sich ihrer Blöße überdeutlich bewusst. Sie spürt den weiten Raum um sich herum, die offene Holztreppe am Ende des Saals, die verzierten Türen, die in alle Richtungen fortgehen, bereit, jederzeit Menschen hereinzulassen. Dazwischen die hohen Spiegel, in denen sie sich selbst sehen kann, nackt und auf ihren Knien, unendlich verwundbar.

Linda erschauert aufs Neue und irritiert stellt sie fest, dass das Gefühl der Scham nicht nur unangenehm ist. Sie kann fühlen, wie sich ihr Körper bei der Erkenntnis der eigenen Blöße in wohligem Schauer windet. Die Frage nach ihrer Rolle in diesem Haus steigt nun in aller Deutlichkeit vor ihr auf: Wird es die ganze Zeit so sein – sie als stummes Lustobjekt, von dem fremden Hausherrn nach Belieben in Szene gesetzt? Der Gedanke bringt den geheimen Bereich zwischen ihren Beinen zum Pulsieren.

Da geschieht das Undenkbare: Sie hört Schritte näherkommen und einen Augenblick später öffnet sich auf der rechten Seite der Halle die vorderste Tür. War Lindas Schauer vor einer Sekunde noch erregend, so erfasst sie nun die blanke Panik. Hastig will sie aufstehen, will sich bedecken, auf welche Art auch immer … Nur mit Mühe gelingt es ihr, reglos zu verharren und zu erwarten, was da kommen mag.

Ohne sich zu bewegen, schielt Linda zur Seite und mit pochendem Herzen sieht sie, wie eine unbekannte Person aus der Tür tritt. Es ist eine ältere Frau, einfach gekleidet und von fülliger Gestalt, die mit einem Tablett voll Porzellan in den Händen den Saal durchschreitet. Linda wagt kaum zu atmen, sie befürchtet, dass die andere bei ihrem Anblick auffahren und ihr Tablett fallenlassen wird. Doch die Haushälterin wirft ihr nur einen kurzen Blick zu, registriert die nackte Frau, die da regungslos auf dem Fußboden kniet, und geht dann weiter zur anderen Seite des Raumes, wo sie das Porzellan in einen breiten Mahagonischrank einräumt.

Linda beobachtet die fremde Frau, die sich von ihrer nackten Anwesenheit nicht beeindrucken lässt, und mit einem Mal weiß sie nicht, ob sie erleichtert oder enttäuscht ist. Sorgsam stellt die Haushälterin das Geschirr in den Schrank – auf den Türen des schweren Möbelstücks erkennt Linda eine Art Rose, die von Ranken umgeben ist –, dann macht sie sich mit dem leeren Tablett wieder auf den Weg zurück. Sie wirft Linda noch einen kurzen, emotionslosen Blick zu, ehe sie erneut die Tür öffnet und in dem dahinterliegenden Zimmer verschwindet.

Linda atmet aus und zwingt ihre Muskeln, sich wieder zu entkrampfen. Jetzt erst stellt sie fest, dass ihre Unterschenkel angefangen haben, schmerzhaft zu ziehen. Die Fußgelenke, die flach ausgestreckt unter ihrem Gewicht liegen, brennen mittlerweile wie Feuer, und ihre Füße kann Linda kaum noch spüren. Sie will sich unauffällig aufrichten, um ihre Beine in eine andere Position zu bringen. Doch als sie auch nur versucht, ihre Fußgelenke zu bewegen, werden die Schmerzen so stark, dass sie sich auf die Lippe beißen muss, um nicht laut aufzustöhnen.

Wütend ballt Linda die Hände zusammen. Sie blickt zur Seite, dorthin, wo der Haufen mit ihrer Kleidung immer noch unberührt liegt. Sie könnte jetzt aufstehen, könnte sich die Füße massieren, bis die Schmerzen aufhören, sich die Kleider anziehen und aus der Tür spazieren. Niemand würde sie aufhalten und Linda würde dieses seltsame Haus mit seinem unheimlichen Hausherrn nie wieder betreten.

Die Tür zu ihrer Rechten geht wieder auf und die Haushälterin bringt ein neugefülltes Tablett herein, auf dem eine Blumenvase und mehrere Schüsseln stehen. Dieses Mal reicht die Ablenkung nicht aus, um Linda ihren Schmerz vergessen zu lassen. Von Sekunde zu Sekunde brennen ihre Knöchel stärker und sie ist sicher, dass sie ihre tauben Füße nun nicht einmal unter Schmerzen bewegen könnte. Linda atmet ein, als würde sie sich für einen Sprung in tiefes Wasser vorbereiten, dann richtet sie sich mühsam auf ihre Knie auf und spricht die Frau an.

»Bitte … Entschuldigen Sie, aber wissen Sie vielleicht, wo der Hausherr hingegangen ist? Ich glaube, er hat mich hier … vergessen.« Sie versucht, verlegen zu lächeln, irgendetwas, um die absurde Situation aufzubrechen. Aber wenn die Haushälterin sie gehört hat, so lässt sie sich nichts davon anmerken. Ohne Linda auch nur einen Blick zuzuwerfen, geht sie zu dem Regal hinüber und sortiert das Geschirr ein.

Entmutigt lässt Linda sich wieder auf ihre Unterschenkel sinken – die Knöchel tun mittlerweile so weh, dass es kaum noch einen Unterschied macht. In dem Moment hört sie harte Schritte hinter sich und für einen Augenblick denkt sie, ihr Herz müsse stehenbleiben. Sie weiß, wem diese Schritte gehören. Es gibt eine bestimmte Art zu gehen, wie es nur der Herr eines Hauses tut. Und außerdem hatte Linda ja genau das erreichen wollen: Sie wollte die Aufmerksamkeit ihres Auftraggebers wieder auf sich lenken. Aber dennoch – oder deswegen? – ziehen sich ihr nun Kehle und Unterleib zusammen, als sie den näherkommenden Klang seiner Stiefel hört.

»Du hattest klare Anweisungen«, klingt die Stimme hinter ihr, so sanft wie das Schnurren einer Katze. »Du solltest nicht reden und dich nicht bewegen. Bist du nicht im Stande, auch nur die einfachsten Befehle zu befolgen?«

Linda schluckt. Das Herz schlägt ihr bis in die Kehle und zwischen ihren Schenkeln macht sich eine sonderbare Erregung breit, ungefragt und unerwünscht.

Sie schüttelt den Kopf. »Es tut mir leid, aber ich wusste nicht, ob Sie …«

Der Schlag trifft sie unerwartet, raubt ihr die Luft, noch bevor sie den Schmerz selbst überhaupt fühlt. Es ist ein Schlag, wie sie ihn noch nie erlebt hat – grell, schneidend, überwältigend. Linda ist zu schockiert, um aufzuschreien, und ganz langsam steigen ihr die Tränen in die Augen.

»Das … das ist …«, keucht sie, unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen.

Der zweite Schlag kommt noch heftiger und dieses Mal schreit sie auf. Für einen langen Moment durchzieht der brennende Schmerz ihren gesamten Oberkörper: ein rotglühendes Spinnennetz, das seinen Mittelpunkt zwischen ihren Schulterblättern hat, dort wo der grausame Hieb sie getroffen hat. Linda keucht angestrengt, wütend, doch dieses Mal sagt sie nichts. Sie hat verstanden.

Hinter ihrem Rücken spürt sie eine Bewegung und ängstlich verkrampft sie sich, um den nächsten Schlag zu erwarten. Doch es ist der Hausherr selbst, der sich zu ihr herunterbeugt.

»Ich habe dir gesagt, du sollst kein Wort sagen. Hast du das nun verstanden?« Er wartet eine Sekunde, ehe er hinzufügt: »Du darfst nicken.«

Linda nickt mit zusammengebissenen Zähnen. Sie ist wütend, dass eine einzige Bewegung dieses Mannes bereits ausreicht, sie zusammenfahren zu lassen.

Ihr Auftraggeber geht langsam um sie herum, bis er in ihrem Sichtfeld steht. Hoch aufgerichtet ragt er vor ihr, sodass Linda den Kopf heben muss, um die Gestalt ganz zu erkennen. Der Mann ist älter, als es seine Stimme hätte vermuten lassen: Seine Haare sind eisengrau und seine Gesichtszüge sind von Falten durchzogen. Nur die Augen, mit denen er sie unverwandt mustert, sind klar, von einer durchdringenden, stahlblauen Farbe. Hastig senkt sie den Blick wieder.

»Weißt du, was das hier ist?«, fragt der Mann und hält ihr etwas entgegen, das wie eine lange, schmale Schlange aussieht.

Linda schüttelt den Kopf, vorsichtig, wie um eine wilde Bestie nicht zu verärgern.

»Das ist eine Bullwhip, eine Ochsenpeitsche. Man benutzt sie, um Tiere zur Ordnung zu rufen und zu disziplinieren. Tiere, die nicht gehorchen wollen.«

Er lässt das dünne Ende der Peitsche vor ihrem Gesicht baumeln. Linda erkennt, dass die Schlange aus schwarzen Lederriemen zusammengeflochten ist, die sich zu einem immer schmaleren Band verdünnen. Ganz am Ende baumelt eine feste Verdickung, wie ein Knoten oder ein Schlangenkopf.

Linda spürt, wie sich ihr Magen verzieht. Natürlich war sie davon ausgegangen, dass sie in dieser Arbeitsstelle einiges würde aushalten müssen, dass sie Schmerzen und Demütigung über sich ergehen lassen würde. Aber nun, da die Peitsche vor ihr baumelt, da die Haut ihres geschundenen Rückens quälend brennt und ihre Erwartung zu einer dumpfen Gewissheit wird, beginnt ihr Körper zu zittern. Wie soll sie diesen Schmerz ein weiteres Mal ertragen?

Der fremde Mann kniet sich vor Linda auf einem Bein nieder, sodass er ihr gerade ins Gesicht schauen kann.

»Wirst du mir gehorchen?«

Die Ochsenpeitsche baumelt immer noch in seiner Hand, genau am Rand ihres Gesichtsfelds. Sie nickt hastig.

»Das ist gut«, sagt der Mann freundlich, beinahe aufmunternd. »Dann wirst du noch acht Schläge von dieser Peitsche ertragen, ohne aufzuschreien. Acht Schläge, ohne den geringsten Laut.«

Linda kann nicht antworten. Es ist, als wäre jeder Muskel ihrer Kehle festgefroren, als würde sich ihr Körper selbst weigern, sich an diesen Mann, diesen sadistischen Fremden auszuliefern.

Ich könnte immer noch gehen. Der Gedanke kommt ungefragt, ungebeten, und doch scheint er ihren Körper mit einem Mal voll und ganz auszufüllen. Instinktiv, beinahe gegen ihren Willen blickt Linda zur Seite, zu dem Haufen mit ihrer Kleidung. Ich könnte einfach nach Hause gehen

»Steh auf.« Die Stimme des Hausherrn klingt hart, jede Spur von Freundlichkeit ist verschwunden. Mit dem Griff der Peitsche drückt er Lindas Kinn nach oben, wie um seinen Worten Nachdruck zu verleihen.

Unwillkürlich folgt sie dem Druck des festen Leders, sie versucht, sich mit ihrem linken Fuß hochzustemmen und aufzustehen – dann fällt sie mit einem schmerzhaften Seufzer wieder zu Boden. Ihre Füße sind taub, ihre Knöchel brennen und fühlen sich geschwollen an.

Linda öffnet den Mund, um sich zu erklären, dann schließt sie ihn wieder, gerade rechtzeitig, ehe sie erneut gegen das Gebot verstoßen kann. Ängstlich schaut sie zu dem Herrn empor und zeigt auf ihre Fußgelenke.

»Steh auf.« Der Mann hat sich nun selbst wieder aufgerichtet und sieht ausdruckslos auf sie herab. »Jetzt.«

Linda schluckt hilflos, dann versucht sie es erneut. Vorsichtig dreht sie ihre Füße in die richtige Position, schiebt sie mit ihren Händen unter ihren Körper. Mühsam richtet sie sich auf, Zentimeter für Zentimeter. Sie ignoriert den Schmerz, der ungebremst durch Fußgelenke und Unterschenkel flammt. Für einen Augenblick beginnen ihre Beine zu schwanken und sie ist sicher, dass sie stürzen wird, doch es gelingt ihr, sich im letzten Moment zu fangen.

Zitternd steht Linda aufrecht da. Sie tritt noch einmal abwechselnd mit den schmerzenden Füßen auf, um sicherzugehen, dass sie sie auch wirklich tragen. Dann schaut sie auf. Mit unerwartetem Stolz im Blick sieht sie hinüber zu dem fremden Mann, der ihre Bemühungen regungslos mitangesehen hat.

Er nickt. »Jetzt dreh dich um, beug dich vornüber und umfass mit deinen Händen die Oberschenkel.«

Noch einmal blickt Linda nach der Ochsenpeitsche, dem grausamen schwarzen Instrument, das immer noch in seiner Hand hängt. Sie schluckt trocken, dann dreht sie sich um und greift mit den Händen nach ihren Knien, gerade wie er es befohlen hat. Sie schließt die Augen und atmet tief ein, dann beißt sie die Zähne zusammen, so fest sie kann. Ruhig bleiben, tönt es in ihrem Kopf wie ein Mantra, nicht aufschreien, während sie hinter sich hört, wie der Herr mit seiner Peitsche ausholt.

Der erste Hieb reißt Linda beinahe von den Beinen. Hart trifft die Peitsche auf ihren Rücken, mit einem Knall, der von den Wänden der Halle zurückschallt.

Stille. Linda atmet keuchend ein und aus, die Zähne so fest zusammengepresst, dass sie meint, ihr Kiefer müsste zerspringen. Der Schmerz pulsiert in brodelnden Wellen über ihren Rücken, wie eine Woge, die von der einen wunden Stelle zur nächsten schwappt.

Ein zweiter Schlag kommt ohne Vorwarnung, treibt ihr die Tränen in die Augen, und noch ehe sie sich erholt hat, trifft sie der dritte Peitschenhieb an exakt der gleichen Stelle, wie um ihren Schmerz zu verhöhnen. Linda überlegt wie in Trance, ob ihre Haut wohl schon in Fetzen vom Rücken hängt, ob ihr Fleisch offen liegt, blutig und roh – aber nein, dafür wäre mehr nötig, noch viel mehr als sie bisher erlitten hat. Sie vertreibt den Gedanken, weil sie jedes Quäntchen Konzentration braucht, um nicht laut aufzuschreien.

Langsam, mit langen, schmerzdurchzogenen Pausen, lässt der Herr die Peitsche ein viertes, ein fünftes und sechstes Mal auf ihrem Rücken aufschlagen, jeder Hieb ein Donnerschlag, der in Lindas Fleisch nachklingt. Die Ochsenpeitsche hinterlässt keine Striemen, sie landet nicht mit ihrer gesamten Länge auf ihrer wunden Haut. Nur der kleine Knoten, der Wulst am Ende der Peitsche, der von Nahem so unbedeutend gewirkt hat, trifft auf ihren bloßen Schulterblättern auf. Dieser Knoten allein trägt in sich die volle Kraft des drei Meter langen Lederzopfs.

Ein siebter Schlag, fester als die anderen, treibt schließlich ein schwaches Wimmern aus ihrer Kehle. Linda fühlt, wie ihr die Wimperntusche die Wangen herunterläuft, fortgespült von stummen, heißen Tränen der Verzweiflung. Ängstlich horcht sie hinter sich, ob der Herr ihren Schmerzenslaut gehört hat – ob er sie auch dafür noch strafen will. In ihrem Mund schmeckt sie Blut und nun erst merkt sie, dass sie sich in ihren Bemühungen auf die Lippe gebissen hat. Gleichgültig. Es gibt noch einen Schlag auszuhalten, eine letzte Kraftprobe, und sie braucht all ihre Energie, um sich vor diesem achten Schlag zu wappnen.

Ein letzter Hieb, diesmal nicht auf den Rücken, sondern quer über ihre Beine gezielt, über die Oberschenkel, die noch brennen von der vorausgegangenen Tortur. Mit einem lauten Schrei bricht Linda zusammen – ihr Körper gibt schlichtweg auf und versagt ihr den Dienst.

Linda liegt seitlich auf dem kühlen Marmorboden, die Beine eng an den Leib gezogen, das Gesicht tränenverschmiert. Ihre Augen hält sie fest geschlossen, auch dann, als sich die Schritte des Mannes nähern, als sie die herabhängende Peitsche fühlt, die über ihren Schenkel streift, und seine Stimme hört.

»Das war die erste Lektion. Solange du in diesem Haus bist, wirst du mit niemandem sprechen außer mit mir. Du wirst mich mit ›Ihr‹ ansprechen und das einzige Wort, das du jemals ungefragt an mich zu richten hast, ist ›Herr‹.«

Seine Stimme klingt ruhig und distanziert. Linda spürt, wie ihr der Tonfall aufs Neue Tränen in die Augen treibt.

Sachte fährt das Ende der Peitsche über ihren bloßen Körper, über den gequälten Rücken bis hinauf zu ihrem Haaransatz. »Mach deine Haare auf.«

Linda schluckt. Die Haarspange war das Einzige, was sie nicht zu den anderen Sachen auf den Kleiderhaufen gelegt hat. Nun kauert sie sich mühsam auf, zwingt sich, die Augen zu öffnen, und zieht die Spange aus ihrem Haar, sodass die langen Flechten den Rücken herabfallen.

»Ich will, dass deine Haare offen bleiben«, sagt der Herr weiter. »Solange du bei mir bist, wirst du keine Kleidung brauchen – keinen Slip, keine Schuhe und kein Haarband. Du wirst dich nicht rasieren, weder deinen Schoß noch Beine oder Achseln. Und du wirst nackt bleiben, gleichgültig ob du allein bist oder mit anderen, gleichgültig ob du deine Regel hast, ob dir heiß ist oder kalt.«

Linda nickt, auch wenn es keine Frage war. Wenn Nicken und Kopfschütteln die einzigen Ausdrucksformen sind, die ihr erlaubt bleiben, dann will sie zumindest davon Gebrauch machen.

»Clemens«, ruft der Herr.

Eine Tür an der Seite des Saals öffnet sich, so rasch, als hätte der Gerufene nur auf den Befehl gewartet. Herein kommt ein stämmiger Mann, vielleicht einen halben Kopf kleiner als Linda, dafür aber kräftig und sicher doppelt so breit wie sie. Mühsam zwingt sie ihren geschundenen Körper, aufzustehen, um nicht vor den beiden Männern bloß auf dem Boden zu liegen.

Der Herr weist auf Lindas Füße und der Neuankömmling – Clemens – hockt sich vor ihr hin. Jetzt erst bemerkt sie, dass er in seiner Hand eine feste Fußfessel aus Bronze hält, die an einer langen bronzenen Kette hängt.

Linda schauert und instinktiv zieht sie ihren Fuß zurück, als Clemens danach greift. Fragend blickt sie zu dem Herrn empor, doch der schaut sie nur abwartend an, ein undeutbarer Ausdruck in den Augen. Also atmet sie noch einmal tief ein, hält dem Mann ihren rechten Fuß entgegen und lässt zu, dass er den Ring an ihrem Knöchel fixiert. Ein heller Ton erklingt, als die Fessel einschnappt, dann ist ihr Fuß fest von dem kalten Band umschlossen.

Clemens hält dem Herrn das Ende der bronzenen Kette hin, doch der schüttelt nur den Kopf. »Bring sie in die Kammer neben dem blauen Zimmer und schließ sie dort an«, sagt er, ohne Linda weiter zu beachten. »Du kannst ihr etwas zu essen geben.«

Clemens nickt und macht sich auf in Richtung der hinteren Treppe, die Kette fest in der Hand. Unsicher sieht Linda zwischen den beiden Männern hin und her, dann nimmt sie ihren Mut zusammen und sagt laut: »Herr?«

Clemens hält inne, um die Reaktion seines Herrn abzuwarten. Der Herr dreht sich zu ihr um und schaut sie mit erhobenen Augenbrauen an. »Was ist noch? Rede.«

Linda atmet tief ein. »Als Ihr mir befohlen habt, zu knien und auf Euch zu warten – ich hätte es nicht schaffen können, ist es nicht so? Ihr hättet mich dort hocken lassen, bis ich vor Erschöpfung umfalle.«

»Bis du mir einen Grund gibst, dich zu bestrafen, ja«, sagt der Herr ruhig. Er kommt einen Schritt auf sie zu und schenkt ihr ein dünnes Lächeln. »Einer Sache solltest du dir in diesem Haus bewusst sein: Es geht hier nicht darum, ob du Schmerzen erleidest – die Frage ist höchstens, wann und aus welchem Grund.«

Willst du weiterlesen? Die Albtraum-Novellen kannst du hier kaufen.